Tan Lay Ling

Einleitung: Ältere Menschen erleiden häufig bedeutsame Verluste und es ist gut erforscht, dass dies zu Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit und insbesondere ihrer kognitiven Funktionsfähigkeit führen kann. Es gibt zahlreiche Studien über die Trauer von pflegenden Angehörigen von Demenzkranken, doch wie sich Verluste auf ältere, an Demenz erkrankte Menschen auswirkt, ist kaum bekannt.

Methodik: Anhand von fünf Fallbeispielen wird dargestellt, wie demenzkranke, ältere Menschen auf Verluste reagieren. Die phänomenologische Beschreibung der Trauerreaktionen dieser fünf Personen wirft ein Licht auf spezifische Erscheinungsformen und hilft dabei, diese besonders gefährdete Personengruppe in ihrer Trauer besser zu verstehen.
Ergebnisse: Im Rahmen einer beginnenden Demenz zeigen die Betroffenen normale Trauerreaktionen wie Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Mit Fortschreiten der Erkrankung können Demenzkranke jedoch kognitiv zu stark beeinträchtigt sein, um ihre Reaktionen auf den Verlust als Trauer erleben und ausdrücken zu können. Eine unbestimmte Wahrnehmung davon, dass etwas nicht stimmt, begleitet von innerer Anspannung, kann sich in Verhaltensauffälligkeiten äußern. Denn auch wenn die kognitiven Fähigkeiten abnehmen, bleiben Gefühle und das Erleben von emotionalem Schmerz erhalten. Es kann geschehen, dass Demenzkranke den Verlust nicht realisieren oder den aktuellen Verlust mit früheren Verlusten vermischen. Ein scheinbares Ausbleiben von Verlustreaktionen tritt auch sehr viel häufiger auf als dies bei gesunden Menschen mit normalen intellektuellen Fähigkeiten zu beobachten ist.
Schlussfolgerungen: Demenzkranke und ihre Familien können von der Gesellschaft und verschiedenen Hilfssystemen in ihrem Trauerprozess unterstützt werden. Aus ethischer Sicht haben Demenzkranke ein Recht darauf, von dem Verlust zu erfahren. Doch es erscheint oft grausam und unsensibel, dem an Demenz erkrankten Menschen immer wieder von dem Verlust berichten zu müssen und in ihnen das Erleben von akuter Trauer und Schmerz hervorzurufen, so als würde man sie viele Male “retraumatisieren”. Deshalb scheint es verständlich, dass Familienmitglieder und Fachkräfte manchmal dazu neigen, Demenzkranke von der Wahrheit abzuschirmen. Es stellen sich viele Fragen: Soll man es ihnen sagen oder nicht? Wie soll man es ihnen mitteilen und wie wird sich die Nachricht auf ihre psychische Verfassung auswirken? Wie wird es den pflegenden Angehörigen damit gehen? Demenzkranke müssen anders an Verlust und Trauer herangeführt werden. Und den Angehörigen muss klar sein, dass sie anders darauf reagieren und damit umgehen könnten.Werden ihre Reaktionen falsch gedeutet, drohen Demenzkranke ohne böse Absicht vom familiären Trauerprozess ausgeschlossen zu werden. Auch Fachkräfte und pflegende Angehörige müssen sich dessen bewusst sein, dass Demenzkranke zu Trauer fähig sind. Gemeinsam müssen wir darauf achten, wie wir sie und ihre Angehörigen am besten in ihrem Trauerprozess unterstützen können.

Ling, Tan Lay (2016): “Challenging Aspects of Bereavement and Grief in Older Adults with Dementia: A Case Series and Clinical Considerations”, in: Journal of Gerontology and Geriatric Research, Vol. 5, Nr. 1, S. 276-280.

Bei Interesse am gesamten englischsprachigen Artikel wenden Sie sich bitte an h.willmann@trauerforschung.de oder Sie finden ihn online unter http://www.omicsgroup.org/journals/challenging-aspects-of-bereavement-and-grief-in-olderadults-with-dementia-a-case-series-and-clinical-considerations-2167-7182-1000276.php?aid=68765

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