Die Frage, wo die Grenze zwischen normaler Niedergeschlagenheit oder Trauer und klinischer Depression zu ziehen ist, wird nicht nur von der Allgemeinheit sondern auch innerhalb der Psychiatrie sehr kontrovers diskutiert. Außerdem wird zwar häufig gefordert, dass es zum Verständnis von Depression eines „pluralistischen“ und umfassenden Zuganges bedürfe. Dennoch haben nur wenige Autoren versucht, Erkenntnisse aus der spirituellen, philosophischen und neurobiologischen Literatur zu integrieren. Der Autor dieses Beitrags legt dar, dass eine solche Synthese möglich ist und dass unser Verständnis von normalem seelischen Schmerz und klinischer Depression durch die Einbindung dieser verschiedenen Erkenntnisquellen bereichert werden kann.
Insbesondere die phänomenologische Analyse von Trauer und Depression zeigt, dass es sich hier um zwei „Erlebniswelten“ handelt, die sich teilweise ähneln, aber doch klar unterscheidbar sind. Sie unterscheiden sich auf relationaler, temporaler, dialektischer und intentionaler Ebene. Neue bildgebende Untersuchungen des Gehirns lassen erkennen, wie sich Trauer und Depression auf neurobiologischer Ebene abbilden. Indem wir die Neurobiologie dieser Zustände besser verstehen, werden wir möglicherweise Zusammenhänge zwischen spezifischen Veränderungen in den neuronalen Netzwerken und den verschiedenen phänomenologischen Merkmalen besser erklären können.
Pies, Ronald (2008): „The anatomy of sorrow: a spiritual, phenomenological, and neurological perspective”, in: Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine, Vol. 3, Nr. 1, Artikel 17.
Vollständiger Artikel als PDF-Download