Margaret Stroebe, Henk Schut, Kathrin Boerner

Der Glaube an die sogenannten Trauerphasenmodelle scheint in der Wissenschaft und der Praxis immer noch tief verwurzelt zu sein. Viele Fachkräfte des Gesundheitswesens „verordnen“ ihren trauernden Klienten regelrecht das Durchleben der Phasen.

Denn im Kern beruhen diese Modelle auf der Vorstellung, dass Hinterbliebene nach dem Tod eines geliebten Menschen verschiedene Phasen nacheinander durchleben. Jeder Phase sind dabei spezifische Reaktionsweisen zugeordnet. Diese Idee wurde häufig so aufgefasst als müssten Betroffene ihren Verlust nach diesem Muster erleben, damit sie ihren Verlust bewältigen können. Im DSM-5 wird gefordert, das eigenständige Störungsbild „Persistent Complex Bereavement-Related Disorder“ weiter zu erforschen. Vor diesem Hintergrund scheint es von außerordentlicher Wichtigkeit, die Idee der Phasenmodelle einer Bewertung zu unterziehen. Aus diesem Grund überprüfen wir den Stellenwert und die Gültigkeit dieses Konzeptes. Über Jahrzehnte hinweg hat es bis heute viele Wissenschaftler und Praktiker beeinflusst. Doch es gab seit jeher auch heftige Kritik. Wesentliche Kritikpunkte sind vor allem das Fehlen von aussagekräftigen empirischen Belegen sowie der Mangel an konzeptueller Schärfe und Erklärungskraft. Außerdem sind sie nicht nützlich für die Entwicklung verschiedener Interventionskonzepte. Zudem bieten sie keine Anhaltspunkte zur Identifikation von denjenigen Hinterbliebenen, die bereits Schwierigkeiten im Rahmen der Verlustverarbeitung haben oder bei denen Probleme zu erwarten sind. Doch als besonders problematisch erweist sich die Tatsache, dass sich das Konzept auf all jene Menschen schädlich auswirken kann, die dieses regelhafte, als notwendig erachtete Durchlaufen der Phasen nicht erleben. Aufgrund dieser Argumente fordern wir, dass Phasenmodelle nicht mehr verwendet werden (auch nicht von den Hinterbliebenen selbst). Wenn überhaupt, dann nur als Teil der historischen Entwicklung. Es gibt alternative Modelle, die sehr viel besser in der Lage sind, Trauerprozesse zu erklären. Abschließend erörtern wir, wie eine Loslösung von dieser alten Überzeugung in der Theorie und Praxis möglich ist.

Stroebe, Margaret; Schut, Henk; Boerner, Kathrin (2017): “Cautioning Health-Care Professionals: Bereaved Persons Are Misguided Through the Stages of Grief”, in: OMEGA-Journal of Death and Dying, Vol. 74, Nr. 4, S. 455–473.

Bei Interesse am gesamten Artikel wenden Sie sich bitte an h.willmann@trauerforschung.de

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