D. Grace Smith

Die Konzeptualisierung von Trauer hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt, und zwar von einer Erfahrung, die in der Gemeinschaft akzeptiert und ausgedrückt wird, hin zu einem diagnostizierbaren klinischen Phänomen.

Arbeiten, die diesen Wandel beschreiben, sehen den Zusammenhang zwischen Trauer und schwerer Depression als eine zentrale Ursache dafür an, oder sie befassen sich mit den neusten Klassifikationen von Erkrankungen. Dieser Beitrag nimmt eine neue Analyse der Medikalisierung von Trauer vor. Mittels Diskursanalyse werden die sprachlichen Mittel und die sich darin ausdrückenden Machtstrukturen rund um das Thema Trauer untersucht. Hierfür wurden psychologisch-psychiatrische Fachartikel (n = 70) ausgewertet, die zwischen 1975 und 1995 veröffentlicht wurden. Besonderes Augenmerk wurde auf die Veränderungen bei der Definition von Trauer und auf die jeweiligen Herangehensweisen und Begründungen für die Untersuchung von Trauer gelegt. Die Analyse zeigt, dass die psychologisch-psychiatrischen Disziplinen bereits Jahrzehnte vor der Einführung der trauerspezifischen Diagnose eine exklusive Fachkompetenz über das Thema Trauer beanspruchten. Die psychologogisch-psychiatrischen Disziplinen haben Trauer bereits in der Zeit zwischen 1975 und 1995 medikalisiert, indem sie den konzeptionellen Schwerpunkt auf psychologisch-psychiatrische Symptome sowie funktionales Leistungsvermögen legten und individuelle Interventionsmethoden der zunehmend wissenschaftlich ausgerichteten Psych-Disziplinen anwendeten. Der Artikel beschreibt zudem neoliberale und andere kulturelle Einflüsse, die diesen Prozess der medizinischen Konstruktion prägten. Er hinterfragt die historische Entwicklung des Trauerverständnisses und zeigt auf, wie sich mit der Medikalisierung Machtverhältnisse verändert haben. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass neoliberale und kulturelle Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des gegenwärtigen Verständnisses von Trauer spielen.

Smith, D. G. (2024). Proposing a new history of grief’s medicalisation: A critical discourse analysis. Sociology of Health & Illness. DOI: 10.1111/1467-9566.13770. Epub ahead of print.

Bei Interesse am gesamten Artikel wenden Sie sich an Hildegard Willmann (h.willmann@trauerforschung.de) und nennen Sie Autor*innen, Jahr und den englischsprachigen Titel der Veröffentlichung.

Linktipp:
Trauer in Zeiten
von COVID-19

 www.gute-trauer.de


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